Möglicherweise eröffnet die Corona-Krise eine Chance, die Regelungswut zu begrenzen und das bestehende Regeldickicht zurückzuschneiden. Jetzt, wo erhebliche Wohlstandsverluste in Europa und Deutschland durch den staatlich verordneten Wirtschaftsstillstand eingetreten sind, muss überlegt werden, wie stärkeres Wirtschaftswachstum gefördert werden kann. Die Ausgangsbedingungen sind aber nicht günstig. Europa ist ein überalternder Kontinent mit überwiegend staatsgläubigen Bürgern. Ihnen wird durch die Dauernegativzinspolitik der Europäischen Zentralbank ihre zinsbasierte Altersvorsorge zertrümmert, sofern sie nicht an den staatlichen Pensionströgen hängen. Der Staat selbst ist hoch verschuldet und dreht aktuell mächtig am Verschuldungsrad. Indessen sind Politik und Staat unfähig zu sparen. Allein die Symbolik der zwei europäischen Parlamente ist bezeichnend für das Dilemma. In Deutschland steht das Riesenparlament mit über 700 Volksvertretern als Metapher für den aufgeblähten aber reformmüden Staat. Hinzu tritt noch, dass der Verlust des Netto-Einzahlers Großbritannien keineswegs zu entsprechenden Budgetkürzungen in Brüssel führt. In Deutschland paaren sich die beschriebenen Faktoren mit hohen Steuer- und Abgabenlasten sowie teuren Energiepreisen.
Umso erstaunlicher war jüngst die Entscheidung der Bundesregierung, die Mehrwertsteuer bis Ende des Jahres von 19% auf 16% abzusenken, also auf das Niveau beim Amtsantritt von Bundeskanzlerin Merkel. Ihr wäre hier sogar mehr Mut zu wünschen gewesen, denn anstatt unsinnige staatslenkende Kaufprämien auszuloben, kann der Bürger besser selber auswählen, ob und was er sich bei ermäßigten Kaufpreisen kaufen möchte. Gerade darin besteht ja das wohlstandsbringende Phänomen der Marktwirtschaft, dass eine unsichtbare Hand zu bestmöglicher Koordination von Angebot und Nachfrage führt. Es bleibt ein Unding zu meinen, der Staat könne diese Funktion besser erfüllen als die Vielzahl seiner Bürger. Am Energiesektor lässt sich treffend beobachten, was passiert, wenn sich der Staat anmaßt, die Geschicke zu bestimmen.
Die Corona-Krise sollte nunmehr genutzt werden, den Staat auf seine wesentlichen Aufgaben zu reduzieren. Dem ausgeuferten Subventionswesen sollte ein Ende bereitet werden. Steuern und Abgaben sind zu senken, damit der Bürger ein höheres Maß an ökonomischer Freiheit gewinnt. Da der Staat durch sein Notenbanksystem das Zinssparen obsolet gemacht hat, sollte er den Einstieg in die Eigenkapitalwirtschaft nicht länger blockieren. Dazu wären die steuerlichen und regulatorischen Nachteile der Aktienanlage gegenüber Zinsanlagen abzuschaffen. Auch die gegen den Rat der Finanzindustrie eingeführten MiFID-Regelungen haben sich als kontraproduktiv erwiesen. Da Europa mehr als doppelt so viele börsennotierte Unternehmen als die USA beheimatet, der Marktwert der US-Firmen aber deutliche höher liegt, zeigt sich, dass in der alten Welt viele kleine Unternehmen börsennotiert sind. Leider hat MiFID dazu geführt, dass für zahlreiche kleine europäische Firmen seit der MiFID-Einführung kein Research betrieben wird. Und die Zahl der Aktionäre ist ebenfalls durch MiFID nicht gestiegen, wohl aber der bürokratische Aufwand mit seinen umfangreichen Veröffentlichungs- und Aufzeichnungspflichten.
Per Saldo ist der Staat in der aktuell kniffeligen Lage aufgefordert, mutige Reformen anzugehen, die den Staat effizienter machen und den Bürgern und Unternehmen mehr ökonomische Freiheit zubilligen.
Aus Chicago
Ihr
Dr. Christoph Bruns