Der Bürger kann sich anhand der Entwicklung des DAX ein Bild über die Vermögensmehrung machen, die durch Anlagen in großen deutschen Aktien gängig sind. Seit seinem Start am 1. Juli 1988 mit einem Ausgangswert von 1.000 konnte der DAX pro Jahr um ca. 8,15% auf einen aktuellen Stand von 15.600 ansteigen. Da es sich um einen durchschnittlichen Anstieg pro Jahr handelt, lohnt es sich, verschiedene Zeiträume zu betrachten, um Besonderheiten zu erkennen. Denn vor allem die erste Dekade der DAX-Historie wies mit einem jährlichen durchschnittlichen Kursanstieg von ca. 19,4% ein erstaunliches Momentum auf. Wir müssen uns dabei an die goldenen neunziger Jahre erinnern, die von der Wiedervereinigung in Deutschland, dem Zerfall der Sowjetunion, Abrüstung, hoher Arbeitslosigkeit, Deregulierung in Amerika und wichtigen Börsengängen (Deutsche Telekom, Infineon, Deutsche Post etc.) gekennzeichnet waren.
Im zweiten Jahrzehnt ging es dann aber beim DAX sehr mager zu. Für die Dekade von Juli 1998 bis Juli 2008 konnte der Aktienindex lediglich eine durchschnittliche jährliche Wertentwicklung von einem Prozent erzielen. Der Kurseinbruch des Neuen Marktes – eingebettet in das Platzen der spekulativen Dot.com-Blase in Nordamerika – belastete den gesamten Aktienmarkt. Zu den am meisten gebeutelten Titeln zählte in diesem Zeitraum die Aktie der Deutschen Telekom, die seinerzeit die höchste Gewichtung im DAX aufwies. Und zum Ende dieser Dekade warfen die ersten Ausläufer der amerikanischen Subprimekrise ihre Schatten auf die Aktienmärkte.
Sein drittes Jahrzehnt von 2008 bis 2018 erbrachte dem DAX einen durchschnittlichen jährlichen Wertzuwachs in Höhe von ca. 6,7%. Die Kulmination der „Großen Finanzkrise“ (2007-2009) und die Euro-Krise 2010 mit der finanziellen Rettung Griechenlands fiel in diese Börsendekade.
In den letzten fünf Jahren (2018 bis heute) zeitigte der DAX eine jährliche durchschnittliche Wertentwicklung in Höhe von 4,5%. Diese Phase war zunächst geprägt von der COVID-Krise und anschließend von der historischen Wende in der Zinsentwicklung.
Insgesamt zeigt sich, dass die Wertentwicklung des DAX im Verlauf seiner 35 Jahre deutlich nachgelassen hat. Immerhin ist aber festzustellen, dass die Entwicklung des Aktienmarktes wesentlich ertragreicher verlaufen ist als bei Anlagen in Zinspapieren. Spannend ist zudem die Beobachtung, dass die Wertentwicklung im DAX sich ungefähr zur Hälfte aus Dividendenzahlungen speist. Ferner muss bedacht werden, dass es sich bei den genannten Zahlen um nominale Vorsteuerdaten handelt. Tatsächlich werden aber Dividenden mit Kapitalertragsteuer, Solidaritätszuschlag und ggf. Kirchensteuer belastet und aus bereits auf Unternehmensebene versteuerten Gewinnen gezahlt. Obendrein frisst die Inflation ca. ein Viertel des Gesamtzuwachses auf und schließlich fallen Kosten für Kauf, Verkauf und Verwahrung ebenfalls an.
Innerhalb der letzten 35 Jahre hat der DAX-Index seine Gestalt stark gewandelt. Heute umfasst der Index 40 Gesellschaften, während es 1988 lediglich 30 Unternehmen waren. Auch ist die Zusammensetzung des DAX alles andere als konstant gewesen. Manche Unternehmen sind ausgeschieden, andere neu aufgenommen worden. Besonders frappierend und auch peinlich sind die Besitzverhältnisse im DAX. Weit mehr als die Hälfte der Aktien der DAX-Mitglieder liegen im Eigentum ausländischer Investoren. Mit der Linde AG hat sich zuletzt das wertvollste DAX-Unternehmen in Richtung USA verabschiedet. Somit lässt sich am DAX auch ablesen, was wir Deutschen auf dem Gebiet der Aktienkultur in den letzten 35 Jahren zustande gebracht haben. Es wäre an der Zeit, dass die Politik bessere Rahmenbedingungen für die Aktienanlage in Deutschland schaffte. Aber die Prioritäten liegen seit 35 Jahren anderswo.
Aus Chicago
Ihr
Dr. Christoph Bruns